Fabio Nieder
Komponist, Pianist, Professor, Graphiker
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Süddeutsche Zeitung, Feuilleton 25.1.2018

Der Schubert-Fresser
Der Komponist Fabio Nieder stammt aus Triest und lebt in Niederbayern. Jetzt lässt er vom Münchener Kammerorchester seinen Traum des „Doppelgängers“ aufführen

Von Reinhard Brembeck


„Das klingt ein bisschen wie ein Elefant“, ruft erstaunt ein Junge nach einer fulminanten Bläserpassage. Vor dem Münchener Kammerorchester hocken bei der Probe im Sitzungssaal der Versicherungskammer Bayern Zweitklässler auf Kissen. Dirigent Clemens Schuldt probt erstmals ein neues Stück, Fabio Nieders „Dem Doppelgänger in memoriam“. Aber die Kinder haben nur Augen für die Instrumente. Einige, erstaunlicherweise meist Jungs, würden am liebsten „das goldene Ding“ da lernen. Schuldt staunt über den Berufswunsch Harfe.
Dann sagt er, der Komponist sei anwesend, und fragt: „Wo?“ Die Finger der Kinder zucken aufgeregt durch den Raum. Die wenigsten richten sich auf den hakenasigen Mann vor dem Notenpult mit der dünnen, aber riesigen roten Partitur. Dann steht Fabio Nieder auf, und ein ganz eigenartiger Zauber beginnt zu wirken.

Mit Mantel und Bauernhut wirkt er wie der jüngere Bruder des Kabarettisten Siri Zimmerschied

Fabio Nieder ist 60 Jahre alt, er stammt aus Triest, ist als Komponist ein Autodidakt und recht erfolgreich. Triest, Jahrhunderte lang die Hafenstadt Wiens und Sehnsuchtsziel von Slowenen, Deutschen, Italienern, Juden, Griechen, ist der Dreh-und Angelpunkt für Nieders Denken und Komponieren. Mit seiner baritonal dunklen Stimme und einer sehr österreichischen Lust am ironisch Makabren merkt Nieder an, dass alle Triester Künstler und Intellektuellen im Irrenhaus oder im Selbstmord endeten. Er selbst lebt seit 25 Jahren in Bayern, derzeit in einem uralten Bauernhaus in der Nähe von Passau. Warum Niederbayern? Darauf weiß er erst mal keine Antwort. Später schickt er mir eine SMS: „Weil ich da meine Heimat gefunden habe“.
Mit seinen hellen Mantel und dem Bauernhut wirkt er wie der jüngere Bruder des Kabarettisten Siri Zimmerschied: die gleichen blitzenden Augen, die schnelle Auffassungsgabe, die unverwüstlich gute Laune, der Spaß an hintergründigen Geschichten. Dazu kommt eine riesige Lebens- und Komponierlust. Die dazu geführt hat, dass das Kammerorchester von Nieder nicht das bekam, was es wollte. Eigentlich sollte er eine Handvoll Schubert-Lieder orchestrieren. So richtig begeistert hat ihn das nicht, aber okay.
Dann aber machte sich sein k.u.k.-böhmisch-balkanesk-welsch-anarchistisches Unbewusstes selbständig. In knapp einem Monat entstand dann eine Traummusik, die Schuberts „Der Doppelgänger“ und „Das Wandern ist des Müllers Lust“ miteinander aussöhnt: Die beiden Lieder bezeichnen die Extreme bei Schubert, hier die Folklore, dort das Grab.
Aber Nieder brachte die Auftragsgeber noch weiter in Bedrängnis.
Erst wollte er zwei Bariton-Sänger (zu teuer). Dann träumte er, dass gleich zu Beginn ein eisiger Hauch durch den Konzertsaal weht (erst recht zu teuer). Nieder musste sich arrangieren. Jetzt legt der Schlagzeuger eine LP auf, Dietrich Fischer-Diskau singt „Das Wandern“. Abrupt reißt der Schlagzeuger die Nadel grell kratzend über die LP, und die Streicher intonieren einen gespenstischen Klang, der sehr wohl als Eishauchersatz durchgehen kann.
Dann beginnt eine Zeitreise. Das Orchester spielt in zwei Gruppen. Die eine bleibt immer in der Grundtonart a-Moll, die andere durchsteigt in elf kurzen Variationen die anderen elf Molltonarten. Der Klang wird schräger und gespenstischer, der Live-Bariton muss akrobatisch zwischen den Tonarten hin-und herumhüpfen.
Wenn beide Orchester sich wieder in a-Moll finden, ist das der leiseste und längste Klang des Stücks.
Und der Sänger benennt den Zerstörer allen Lebens: „Zeit“. Oder, wie Nieder sagt: „Das ist wirklich vorbei, das ist nicht mehr meine Welt.“
Mollklänge und Klezmergirlanden, ironische Brechungen, der anfängliche Aufstieg aus den Untiefen des Wagner-„Rheingolds“, Mahlers neunte, Berio „Rendering“, Gabrielis Doppelchörigkeit, Zenders „Winterreise“-Bearbeitung, Bergs Violinkonzert: Wer Ohren hat zu hören, der kommt hier voll auf seine Kosten. Aber nie ersticken die Anklänge Nieders sanften Erzählton und seine Ironie.
Dafür sorgen auch die Würfelspiele des Schlagzeugers, genauso die kurz vor Ende wieder zum Orchester einsetzende Fischer-Diskau-LP. Das Wirtshaus und die Gruft sind Nieder vertraute und magische Orte.

Dass die Italiener die Slowenen schmähten, die über Triest lebten, empörte Nieder früh in der Schule


Dieses Basteln hat Nieder von seinem Vater geerbt.
Der arbeitete als Industriedesigner. Aber in seinen Nächten war er Erfinder, baute Synthesizer, begeisterte sich für elektronische Musik und schlief nur eine Stunde pro Tag.
Dann ist da Nieders Mentor Pavel Merkù, ein Komponist und Ethnologe. Alle sprachen sie triestinisch.
Dass aber die Slowenen, die vor allem im Karst über Triest lebten, von den Italienern diffamiert wurden, empörte Nieder schon in der Schule. Er lernte Slowenisch und war 1985 ein Mitbegründer der Gruppe 85, die gegen diese Diskriminierung protestierte.
Bald sprudeln aus Nieder viele verwunschen klingenden Namen Triester Künstler heraus: Alojz Rebula, Marij Kogoj und vor allem Viktor von Thümmel, auch bekannt als Vito Timmel.
Der 1949 im Irrenhaus gestorbene Maler trank täglich zwölf Liter Wein, zeichnete komplizierte Labyrinthe und träumte von einer Welt ohne Worte und Namen. Das faszinierte Nieder. Da sich auch der Triester Germanist Claudio Magris in seiner Jugend mit Timmel beschäftigt hatte, bat ihn Nieder um ein Libretto zu diesem Stoff.
Magris aber lieferte ein riesiges Konvolut, das auch nach heftigen Kürzungen und zehn Jahren Arbeit noch eine sechsstündige Oper ergab, die bisher nicht uraufgeführt wurde: „Thümmel oder die Verlöschung des Wortes“. Die zentrale Szene „Der Bilderfresser“ gibt es allerdings auf CD bei Winter&Winter zu bestaunen.
Und am heutigen Donnerstag spielt das Münchener Kammerorchester die Uraufführung von Fabio Nieders „Dem Doppelgänger in memoriam“ um 20 Uhr im Münchner Prinzregententheater.*

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